Graduate Seminar in Theatre Studies at Keio University

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Facetten der Gefühle im Transkulturellen Theater

 

Das Theater lässt sich wesentlich als „Schauplatz des Fremden“ (B. Waldenfels) bzw. als „Medium der Hinwendung zum Fremden“ (G. Heeg) begreifen. Schon seit dem Theater der Antike fungierte das Fremde, vor allem in der Begegnung, im Konflikt und im dialektischen Widerspiel mit dem ‚Eigenen‘, als ein Motor der Handlung. Auch die Kunstform Oper erfuhr wichtige Impulse vermöge einer Thematisierung des Fremden. Seit dem späten 18. Jahrhundert erregten in Europa gerade jene Opernwerke Aufmerksamkeit, welche Schauplätze in fernen Ländern – etwa des arabischen oder des ‚fernöstlichen‘ Kulturraums – aufsuchten und damit zugleich exotische Elemente in Handlung und musikalische Gestaltbildung hineinnahmen. Indes wurde solche Opernkunst stets aus der Perspektive der Interkulturalität wahrgenommen und erforscht, einer Perspektive, welche die Polarität von vermeintlich eigener und fremder Kultur als selbstverständlich voraussetzte. In der gegenwärtigen Opernpraxis einer globalisierten Welt gilt jedoch dieses herkömmliche, auf schlichter Gegenüberstellung gründende Verständnismodell nicht mehr. Ist etwa eine Oper auf der Basis des traditionellen No-Theaters konzipiert, so erscheint es fraglich, ob heutige Japaner dies Überkommene tatsächlich noch als ‚Eigenes‘, ihnen unmittelbar Zugehöriges erfahren. Erhalten solche traditionellen Elemente nicht selbst für sie eine exotische Anmutung? Wie also sind Konstellationen von Fremdem und Eigenem in der Oper aufzufassen? Aus der Perspektive des Transkulturellen Theaters – nach Heeg eine „umfassende kulturelle Praxis des Denkens und Handelns“ – sollen solche Konstellationen neu befragt werden.

 

Paradoxe Formen der Selbstzerstörung finden sich in europäischen Tragödien und werden zugleich in deren Theorien reflektiert. Von dieser These her untersucht der Theaterwissenschaftler Hans-Thies Lehmann in seiner Schrift Tragödien und dramatisches Theater (2013) sowie in verschiedenen Aufsätzen Figuren wie etwa Antigone, Phèdre oder Karl Moor, die in ihrem Streben nicht nur gesellschaftliche Grenzen, sondern gleichzeitig die je eigenen überschreiten. Diesen Prozess begreift Lehmann als paradoxe Überschreitung des Ich, welche sich ohne die Gefahr der Selbstzerstörung nicht realisieren kann. Solche Tragödien stiften Sinn, wenn sie den Zuschauenden die Vielfalt des widersprüchlichen Umgangs mit Lust und Zerstörung erfahrbar machen.

 

Das Widerspiel von Fremdem und Eigenem vollzieht sich in der Oper immer auch in einem Geflecht von Gefühlen, Empfindungen und Affekten. Räume gesteigerter Emotionalität kennzeichnen die Kunstform Oper, denn Gesang und orchestrale Musik entfalten sich als eine „Sprache der Gefühle“; sie ermöglichen eine komplexe Emotionsdarstellung, die gerade Grenzbereiche auslotet und so zugleich eine spezifische Rezeption befördert. Hierauf verweist Alexander Kluge, wenn er die Oper als „Kraftwerk der Gefühle“ anspricht. Kluges prägnante Formel trifft insbesondere auf die Konzeption des ‚Gesamtkunstwerks‘ zu, das die Zuschauer überwältigt, sie in die Handlung und ins Aufführungsgeschehen hineinzieht und auf Identifikation zielt. Transkulturelles Theater, das das Phantasma von Einheit, Ganzheit und kultureller Identität auflöst und stattdessen Brüche, Risse und den Gestus der Unterbrechung fokussiert, markiert hierzu einen Gegenentwurf. Gleichwohl hat Heeg darauf hingewiesen, dass gerade die Oper „das Vorbild und Modell für Brechts Theater“ darstellt, welches wiederum zum Modell für das Transkulturelle Theater geworden ist. Welche Facetten aber erhellen sich, wenn man die Oper im Spannungsgeflecht von Emotionsdarstellung und Transkulturalität in den Blick nimmt? In diesem Symposium wird das Eigene/Fremde im Verhältnis zu Affekt und Gefühl untersucht, indem über die Oper hinaus auch Literatur und das Theater allgemein in Betracht gezogen werden.

 

*** Due to cancellation of a speaker, the program has been changed as follows.

 

Datum/Ort


Datum: 9. Februar (So.) 2020, 10:30 – 16:15
Ort: Discussion Room, 5th floor of South Building “minami-kan” at Mita Campus of Keio University
Promoted by:
JSPS-Forschungsprojekt. Transkulturelles Theater und die Theatertheorie des Fremden
Research Project of the Graduate School of Letters at Keio University. Reinforcing the Cultural Diversity

 

Vorträge


10:30 ~10:35
 Prof. Dr. Eiichiro Hirata
 Begrüßung
10:35 ~ 11:15
 Dr. Koku G. Nonoa (Université du Luxembourg Maison des Sciences Humaines)
 Inszenierung von Gefühlen und Affekten im transkulturellen Theaterverständnis
11:20 ~ 11:50
 Kurina Kurita (Keio-Universität Tokyo)
 Lachen auf der Grenze – Serdar Somuncu liest „Mein Kampf" vor
11:55 ~ 12:25
 Chisa Tanimoto (Keio-Universität Tokyo)
 Überschreitungsmoment im Akt des Lesens.
 Am Beispiel von Yoko Tawadas Gedicht Die 逃走 des 月s
14:30 ~ 15:10
 Associate Prof. Dr. Chikako Kitagawa (Keio-Universität Tokyo)
 Gefrorene Emotion – Anmerkungen zu Salvatore Sciarrinos Oper Da gelo a gelo
15:30 ~ 16:15
 Schlussdiskussion